Es ist dunkel, der Weg von Göttingen bis Norditalien war länger als gedacht und die herbstlich kühle Nacht hat die Menschen nach drinnen getrieben. Durch eine unscheinbare Tür in einem großen Tor lugt plötzlich ein Kopf heraus. Um ihn herum ein Hauch von Rauch. Tatsächlich brennt dieser Mann gerade in der zweiten Schicht Grappa nach alter Tradition. In einem Handwerk, das keine konventionelle Ausbildung oder Schule lehrt, sondern nur die überlieferte Erfahrung selbst. Wir sind in der Distilleria Gualco angekommen.
Giorgio und Marcella betreiben in fünfter Generation die Grappa-Brennerei. Ihr Handwerk haben sie noch von Großmutter Susanna gelernt. Seit bald 150 Jahren wird in Silvano d'Orba Grappa gebrannt. Nonna Susanna hat eine der wenigen traditionellen Destillerien im Piemont erhalten, die noch mit der schonenden Herstellung im Wasserbad arbeitet, der bagnomaria.
Susannas unternehmerischer Geist war es, der maßgeblich zum Erfolg der Familie beigetragen hat. Und sie war es auch, die die drei getrennten Brennereien der Familie zusammenführte. Ihr Erbe scheint allgegenwärtig, sogar die Etiketten der Grappe tragen die Handschrift Susannas.
Im Innenhof zeichnen sich jetzt im Herbst zur Lese tiefrote Hügel von Trester gegen das Panorama des Piemonts ab. Wir umrunden sie wie Scheinriesen und Giorgio erzählt, dass nicht nur die Aromatik der einzelnen Rebsorten sondern auch deren Konsistenz und die Art der Verarbeitung bei den Winzern ausschlaggebend für den Geschmack sind.
Um diese besondere Qualität zu erhalten, stehen sie in ständiger Rücksprache mit ihren Zulieferern. Und mal wieder bekommen wir vor Augen geführt, wie sich über einen hohen Anspruch Betriebe vernetzen und Freundschaften entstehen. Auch Romina Tacchino, die uns schon lange mit ihren Weinen begeistert, bringt ihren Trester zur Distilleria Gualco.
Im Herzen der Brennerei heizt der von Hand befeuerte Steinofen hoch und Dampf schlängelt sich zwischen den kupferfarbenen Rohren hindurch. In der Distilleria Gualco wird nicht wie in industriellen Brennereien mit Gas erhitzt und ein genormtes Produkt erzeugt, sondern ein Teil des bereits destillierten Tresters zum Einheizen genutzt.
Einen wichtigen Unterschied markiert hierbei, dass die Hitze nicht direkt auf die Trauben trifft, sondern ein Kessel voll Wasser einen Topf voll Trester umschließt, eben die bagnomaria. Der entstehende Wasserdampf kämpft sich nun gemächlich über ein Rohr durch die in zwei Etagen geschichteten Trauben im Topf und extrahiert den Alkohol.
Diese Art der Destillierung verhindert, dass der Grappa einen ungewollt rauchigen oder verbrannten Geschmack annimmt und er die fruchtigen Charakteristiken der Beerenhaut behält. Gelagert wird der Grappa für fünf Monate in Metallbehältern, um die Aromen zu stabilisieren. Giorgios Augen beginnen zu leuchten, während er Deckel anhebt und uns schnuppern lässt.
Zwischen diesen Aromen und Extrakten findet seine Kreativität hier ein Ventil. Mit sechs probierte er das erste Mal Grappa und bis heute wundert er sich darüber, dass er dieser Spirituose nicht überdrüssig wird. Und bei so viel Herzblut lässt sich erahnen, warum die ganze Welt von Göttingen bis nach Tokio Giorgios und Marcellas Grappa genießen möchte und er in Berlin durch das Crafts Spirits Festival prämiert wurde. Susannas Geist lebt weiter.